Epilepsie im Kindesalter
Epilepsie ist die häufigste chronische Erkrankung des Nervensystems. Im Kindesalter ist sie häufiger als die viel besser bekannten chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Rheuma. Ca. 1 % der Bevölkerung in Europa leidet unter einer Epilepsie, 50–60 % treten im Kindesalter auf [1]. Bei optimaler Therapie können mehr als 70 % der Patienten anfallsfrei werden. Voraussetzung für die bestmögliche Therapie ist die korrekte Diagnose der Epilepsie bzw. des Epilepsiesyndroms.
Der Begriff ‚Epilepsie‘ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet ‚ergriffen‘ oder‚ gepackt‘ sein. Damit wird gut beschrieben, dass dem betroffenen Mensch ‚etwas passiert‘, das er nicht selbst steuern kann. Etwa 5 % aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall. Ein einzelner Anfall ist noch nicht gleichbedeutend mit einer Epilepsie, sondern kann unter bestimmten Bedingungen bei jedem Menschen auftreten, z. B. bei einer schweren Kopfverletzung oder einer akuten Erkrankung. Von einer Epilepsie spricht man erst dann, wenn sich epileptische Anfälle ohne äußere Provokation wiederholen.
Fieberkrämpfe
Etwa 3 % aller Kinder erleiden bis zum 7. Lebensjahr einen Fieberkrampf. Betroffen sind in aller Regel normal entwickelte Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren. Solange diese Krämpfe nur bei Fieber bzw. im Rahmen eines Infekts auftreten, gelten sie nicht als Epilepsie. Der erste Fieberkrampf ihres Kindes ist für Eltern ein völlig unerwartetes und oftmals sehr dramatisches Ereignis, bei dem viele um das Leben ihres Kindes fürchten. Die Prognose auch von wiederholt auftretenden Fieberkrämpfen ist allerdings sehr gut, die weitere Entwicklung der Kinder ist unbeeinträchtigt. Nur in wenigen Fällen können fiebergebundene Anfälle auch ein erstes Zeichen für eine beginnende Epilepsie sein. Das spätere Epilepsierisiko erhöht sich nur geringfügig von 0,5–1 auf ca. 3 % [2].
Da ein Fieberkrampf in seltenen Fällen auch erstes Symptom einer Hirnhautentzündung (Meningoenzephalitis) sein kann, sollte bei einem ersten Fieberkrampf immer eine unmittelbare ärztliche Vorstellung erfolgen und insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern die Indikation zu einer Lumbalpunktion großzügig gestellt werden.
Das generelle Wiederholungsrisiko für Fieberkrämpfe beträgt ca. 30 %. Eine medikamentöse Dauertherapie ist in der Regel nicht erforderlich. Die meisten Fieberkrämpfe enden spontan innerhalb von 2–3 Minuten. Bei einer Dauer von mehr als 5 Minuten sollte der Anfall mit Hilfe eines schnell wirksamen, oral oder rektal zu verabreichenden Notfallmedikaments unterbrochen werden.
Anfallsformen
Viele Menschen denken bei Epilepsie zunächst an dramatisch anzusehende Anfälle mit Muskelzuckungen (klonisch), verkrampften Muskeln (tonisch) und Bewusstseinsverlust, den so genannten Grand mal-Anfall. Doch epileptische Anfälle können auch ganz anders aussehen. Einige Kinder nesteln zum Beispiel bei einem Anfall nur wenige Augenblicke unmotiviert an einem Kleidungsstück oder schlucken und schmatzen ohne Grund. Bei anderen zuckt nur eine Hand/eine Extremität und andere haben auf einmal seltsame, nicht erklärbare Sinneswahrnehmungen (Aura). Wieder andere scheinen einen Moment lang wie weggetreten (Absence). Nicht bei allen Anfällen kommt es zu einem Bewusstseinsverlust. Bei einem Teil der epileptischen Anfälle ist das Bewusstsein vollständig erhalten, bei einigen ist das Bewusstsein eingeschränkt.
Aura
Manche epileptischen Anfälle beginnen mit einer sogenannten Aura: Die betroffenen Kinder bemerken dabei ungewöhnliche Sinneseindrücke wie zum Beispiel Kribbeln in einer Extremität, Sehstörungen/Halluzinationen oder merkwürdige Geschmacks- oder Geruchseindrücke. Andere spüren seltsame Empfindungen im Bauch oder vom Bauch her aufsteigend (epigastrische Sensationen). Einige Kinder erkennen an der Aura, dass ein größerer Anfall kurz bevorsteht. Eine Aura kann aber ebenso gut das einzige Symptom eines Anfalls sein und bleiben. Eine Aura ist ein kurzer Anfall, der in einer sehr begrenzten Region des Gehirns abläuft. Sie kann in der Regel nicht von Außenstehenden beobachtet werden, da es sich um eine reine Sinneswahrnehmung handelt. Es ist wichtig, Kinder mit einer Epilepsie genau danach zu befragen, da Aura-Symptome Rückschlüsse auf die anfallsauslösende Hirnregion ermöglichen.
Absencen
Epileptische Anfälle, die eher unauffällig sind und daher möglicherweise zunächst übersehen werden, sind Absencen. Absencen sind epileptische Anfälle, die durch eine kurze Abwesenheit mit fehlender Ansprechbarkeit und durch eine Erinnerungslücke gekennzeichnet sind. Absencen kommen bei Klein- und Schulkindern am häufigsten vor und sind bei Kindern allgemein die mit Abstand häufigste Form epileptischer Anfälle. Sie kommen auch bei Jugendlichen und Erwachsenen vor, werden aber mit zunehmen dem Alter immer seltener [3]. Weil Absencen so kurz sind und die Betroffenen selbst nichts merken, bleiben sie oft lange unerkannt, werden als Unaufmerksamkeit („verträumte“ Kinder, „Hans Guck-in-die-Luft“) oder – besonders in der Schule – auch als Konzentrationsstörung oder fehlender Wille missverstanden.
Säuglingsepilepsien
Im Säuglingsalter können epileptisch Krampfanfälle sehr uncharakteristisch aussehen. So äußern sie sich bei sehr jungen Säuglingen häufig als Atempausen (Apnoe) oder kurzes Innehalten z.T. begleitet von einem Abweichen der Augen zu einer Seite (Augendeviation), Lidflattern oder rollenden/zuckenden Augenbewegungen (Nystagmus). Sofern Muskelzuckungen (Kloni) auftreten, betreffen diese oft nur eine umschriebene Körperregion, die im Laufe eines Anfalls auch wechseln kann. Weitere Anfallssymptome können wiederholtes Schmatzen oder Vorschieben der Zunge sein [4].
Bei einer anderen Anfallsform des Säuglingsalters kommt es zu einem plötzlichen schreckhaften Öffnen der Augen und beide Arme werden zur Seite hochgerissen. Dies wiederholt sich mit kurzen Pausen in Serien. Diese so genannten BNS-Anfälle (Westsyndrom) müssen frühzeitig als Epilepsieform erkannt werden, da sie bei dem betroffenen Säugling unbehandelt zu einem Entwicklungsstillstand oder sogar Entwicklungsrückständen führen können.
Da epileptische Anfälle insbesondere im jungen Säuglingsalter auch für Experten nicht immer leicht zu erkennen sind, sollten Eltern versuchen, die fraglichen Zustände in einem Video zu dokumentieren. Eher anfallsverdächtig sind Episoden, die sich in gleicher Art und Weise mehrfach wiederholen und untypisch für das Alter des Kindes erscheinen, die nicht durch Berührung des Kindes gestoppt und andererseits auch nicht nur durch Lageveränderung des Kindes ausgelöst werden können.
Säuglingsmyoklonien
Viel häufiger als epileptische Anfälle gibt es im Säuglingsalter eine Vielzahl von gutartigen nichtepileptischen motorischen Phänomenen. Zu diesen gehören u.a. Schlafmyoklonien, bei denen es sich um kurze rhythmische Zuckungen handelt, die nur im Schlaf auftreten und durch Wecken des Kindes unterbrochen werden können. Auch wenn Zuckungen (Myoklonien) durch Festhalten der betroffenen Extremität zu unterbrechen sind, spricht das gegen ein epileptisches Phänomen [5].
Der erste epileptische Anfall
Jeder erste epileptische Anfall kann das erste und möglicherweise über längere Zeit auch das einzige Zeichen einer akuten Schädigung des Gehirns sein. Deshalb muss er immer Anlass zu einer möglichst umgehenden Untersuchung beim Kinderarzt bzw. Kinderneurologen sein. Vom Ergebnis dieser Untersuchung hängen alle weiteren Entscheidungen ab. Die Diagnostik umfasst die Messung der Hirnstromkurven (Elektroenzephalographie =EEG), eine Blutuntersuchung und zum Ausschluss einer anderen Ursache oftmals noch ein Elektrokardiogramm (EKG). Je nach Befund können weitere Untersuchungen wie eine Kernspintomographie (MRT) und in Einzelfällen auch eine Lumbalpunktion zur Untersuchung des Hirnwassers erforderlich sein.
Wichtig ist, dass ein normales EEG eine Epilepsie nicht sicher ausschließt. Bei einigen Kindern sind wiederholte EEG-Ableitungen oder sogar spezielle EEG-Untersuchungen wie ein Schlaf-EEG oder ein Langzeit-EEG erforderlich.
Therapie
Die primäre Therapie einer Epilepsie erfolgt medikamentös. Die Wahl des Antiepileptikums richtet sich vor allem nach dem vorliegenden Epilepsiesyndrom. Je genauer die Epilepsie des Kindes einem speziellen Epilepsiesyndrom zuzuordnen ist, desto gezielter kann die Behandlung erfolgen. Bei optimaler Therapie werden mehr als 70 % der Kinder dauerhaft anfallsfrei.
Sofern medikamentös keine Anfallsfreiheit erreicht wird, muss evaluiert werden, ob das Kind für einen epilepsiechirurgischen Eingriff in Frage kommt. Dies kommt nur bei einer fokalen Epilepsie in Frage, d. h. einer Epilepsie, die ihren Ursprung in einer ganz umschriebenen Hirnregion nimmt.
Eine andere Behandlungsmöglichkeit besteht in einer speziellen Diät (ketogene Diät), bei der die Patienten eine kohlenhydratarme, sehr fettreiche Nahrung zu sich nehmen. Da diese Diät große Einschränkungen in der Lebensqualität mit sich bringt, wird sie nur bei sehr schweren Epilepsieformen eingesetzt.
In der Regel keine Anfallsfreiheit, aber eine deutliche Anfallsreduktion kann mit Hilfe eines elektrischen Stimulators erzielt werden, der wie ein Herzschrittmacher unter dem Schlüsselbein unter die Haut implantiert wird (Vagusnervstimulator = VNS). Durch regelmäßige Stimulation eines Hirnnerven, des Vagusnerven, können epileptische Anfälle unterdrückt werden.
Schulung
Da die Diagnose einer Epilepsie ihres Kindes für die meisten Familien ein einschneidendes Ereignis darstellt, sollte wo immer möglich die Teilnahme an speziellen Schulungen angestrebt werden. In dem modularen Schulungsprogramm Epilepsie für Familien (FAMOSES) werden für betroffene Familien separate Eltern- und Kinderschulungen angeboten. Bei diesen werden neben Informationen zur Diagnose Epilepsie auch vorherrschende Einstellungen und Meinungen reflektiert und Strategien und Verhaltensweisen für den Alltag erarbeitet.
Im Umfeld der Kinder wie Freundeskreis, aber auch Kindergarten und Schule herrscht häufig eine große Unsicherheit bezüglich der Diagnose und dem Umgang mit dem an einer Epilepsie erkrankten Kind. Dabei gilt zunächst zu vermitteln, dass es nicht die EINE Epilepsie gibt, sondern dass es sich um ein sehr heterogenes Krankheitsbild mit individuellen Verläufen und Umgebungsbedingungen handelt. Die Mehrzahl aller Kinder mit einer Epilepsie sind normal intelligent. Zum Teil aufgrund der Epilepsie, zum Teil auch aufgrund der Nebenwirkungen der Therapie können bei ihnen aber häufiger Teilleistungsstörungen oder Aufmerksamkeitsprobleme auftreten [6]. Sofern das Umfeld darauf vorbereitet ist, kann dies frühzeitig erkannt und das Kind durch entsprechende Maßnahmen unterstützt werden.
Literatur
- Forsgren L: Incidence and prevalence. In: Wallace SJ, Farrell K, eds. Epilepsy in children, 2nd edn. London: Arnold, 2004: 21–25
- Patel N. et al. Febrile Seizures. BMJ 2015 Aug 18:351-360
- Park JT et al. Common pediatric epilepsy syndromes. Pediatr Ann. 2015 Feb;44(2): e30-5
- Mizrahi E, Watanabe K. Symptomatic neonatal seizures. In: Roger J, Bureau M, Dravet C, Genton P, Tassinari CA, Wolf P, editors. Epileptic syndromes in infancy, childhood and adolescence. 5.London: John Libbey & Co Ltd; 2012. pp. 15–31.
- Singer H, Mink J, Gilbert D, Jankovic J. Transient and Developmental Movement Disorders in Children. Movement Disorders in Childhood 2. Elsevier; 2016 pp 69-77.
- Dunn DW, Kronenberger WG: Childhood epilepsy, attention problems, and ADHD: review and practical considerations. Semin Pediatr Neurol 2005; 12: 222–8.

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